Archiv 2005 - 2001

11.05.2003

Detmold hat ein Babykörbchen

Pressemitteilung: Detmold hat ein Babykörbchen. Anonyme Abgabemöglichkeit gehört zu einem Netzwerk von Hilfsangeboten1

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Aus der Perspektive der alarmierten Kinderkrankenschwester gesehen: So wie diese Puppe zu Demonstrationszwecken im Babykörbchen liegt, wird hoffentlich nie ein Kind dort liegen.

Farbenfroh ist der sichtgeschützte Zugang gestaltet, der zu dem Schiebefenster in der Hofstraße führt. Wird das Fenster geöffnet und anschließend wieder geschlossen, ertönt auf der Säuglingsstation ein Signal. Bevor ein Baby dorthin geholt wird, kann die abgebende Person mit Stempelfarbe einen Fußabdruck des Kindes machen. Er dient zur Identifizierung, wenn die Mutter ihre Entscheidung rückgängig machen will. Denn erst nach acht Wochen werden die Kinder zur Adoption freigegeben. Ein Modell der Anlage und Faltblätter auf Deutsch, Russisch und Türkisch informieren in der Hofstraße über das Babykörbchen und andere Wege der Hilfe.
Denn das Detmolder Babykörbchen gehört zu einem Netz von Hilfsangeboten. Damit es nicht nur bei der anonymen Abgabe bleibt oder besser gar nicht erst so weit kommt, haben sich das Diakonische Werk und die Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Lippischen Landeskirche, die Fürstin-Pauline-Stiftung, das Klinikum Lippe und das katholische Dekanat vertraglich zu einer umfassenden Hilfe „vor, bei und nach der Geburt“ verpflichtet.
Das Diakonische Werk, vertreten durch Landesdiakoniepfarrer Jürgen Dittrich, hat die Koordination übernommen. Es ist für die Kontakte zu Behörden und anderen Stellen, für Spendenwerbung und weitere übergreifenden Aufgaben zuständig. Die Ehe-, Familien- und Lebensberatung bringt die Leistungsangebote ihrer Schwangerschaftskonfliktberatung ein und begleitet eventuelle Adoptiveltern und das „Babykörbchen“-Kind nach dessen Vermittlung. Die Fürstin-Pauline-Stiftung kann notfalls Mütter und Kinder beherbergen und sozialpädagogische Familienhilfe leisten. Auch mobile Mutter/Vater-Kind-Betreuung ist möglich. Die Einrichtung verpflichtet sich, Plätze in ihrer sozialpädagogisch betreuten Wohngruppe bereit zu stellen. Von katholischer Seite erfährt das „Babykörbchen“ Unterstützung durch das Dekanat Lippe. Es stellt die Verbindung zur Caritas und zum Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF) her und bindet deren Beratungsangebote in das Netzwerk ein. Die Klinikum Lippe GmbH schließlich stellt den Betrieb des „Babykörbchens“ sicher.
Diakoniepfarrer Jürgen Dittrich und der katholische Dechant Karl-Heinrich Brinkmann sprachen in ihrer ökumenischen Andacht über die Zuwendung Gottes zu jedem Menschen, wie sie im 8. Psalm zum Ausdruck kommt.
Die Eröffnung am Vortag des Muttertages war für das Detmolder Krankenhaus ein bedeutungsvoller Teil seines 75-jährigen Jubiläums: 1928 wurde die heutige Kinder- und Jugendmedizinische Klinik als Säuglings- und Findelheim gegründet. Damals, so Chefarzt Dr. Klaus Wesseler, lag die Säuglingssterblichkeit in Deutschland bei 30 Prozent. Heute, da diese Zahl auf 5 Promille zurückgegangen ist, „haben wir alle Möglichkeiten der Medizin für Kinder und Jugendliche“, so Wesseler. Nur ein Raum für Findelkinder fehlte bisher.
Landrat Friedel Heuwinkel sprach als Aufsichtsratsvorsitzender der Klinikum Lippe GmbH ein Grußwort zur Eröffnung. Der Krankenhausbetreiber hat die Kosten von 80.000 Euro vorfinanziert. Sie werden ausschließlich durch Spenden gedeckt. Gut die Hälfte ist bisher auf das Konto des Diakonischen Werkes Nr. 36400 bei Sparkasse Detmold (BLZ 47650130), Stichwort: „Babykörbchen Lippe“, eingegangen. Als Schirmherrin dankte Maria Prinzessin zur Lippe allen Spendern.
Heute gibt es in Deutschland über 50 solche Einrichtungen. Pro Jahr werden zwischen 40 und 60 ausgesetzte Neugeborene aufgefunden, die Dunkelziffer dürfte erheblich höher liegen. In Ostwestfalen ist im Januar 2002 in Paderborn die dritte „Babyklappe“ eingerichtet worden.
Die Besonderheiten der Kinderheilkunde (Pädiatrie) „gestern, heute und morgen“ beschrieb Professor Dr. Berthold Koletzko in seinem Festvortrag. Der Leitende Oberarzt der Hauner’schen Kinderklinik in München erinnerte daran, dass die Pädiatrie als junger Zweig der Medizin lange um ihre Anerkennung kämpfen musste: Erst 1894 wurde in Deutschland der erste Lehrstuhl dafür eingerichtet. Die Fortschritte seither sind eindrucksvoll, wie die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit zeigt. „Hochtechnologie und menschliche Zuwendung sind keine Gegensätze“, erklärte Koletzko. Er sprach über den Konflikt zwischen Ethik und Ökonomie, der sich mit dem rasanten Fortschritt der Medizin verschärft hat, etwa bei der Behandlung von extremen Frühgeburten: „Was ist uns die Lebensqualität eines Kindes wert, das so groß ist wie ein Esslöffel?“ Für die Frage, ob sich hier eine teure medizinische Behandlung lohnen würde, habe er keinerlei Verständnis.

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