Archiv 2005 - 2001

20.11.2003

Den Krieg geißeln, den Frieden besingen

Pressemitteilung: Nachtkonzert in St. Marien

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„Die Sage vom Großen Krebs“ im Wechsel zwischen Solo und Chor: Julia Husmann, Markus Schmidt, Charlotte Zömer, Patricia Joppich (von links), im Hintergrund Po-Tsen Yeh am Schlagzeug.

Gäbe es nicht das Vorbild jener radikalen, bedingungslosen Liebe, die bei den Feinden nicht aufhört, dann wäre der Einsatz für den Frieden für Christen und viele andere hoffnungs- und aussichtslos. Deshalb beschlossen die Aussagen Jesu über Feindesliebe und Gewaltlosigkeit das Konzert. Die Lippische Landeskirche, die Musikhochschule Detmold und die Marien-Kantorei Lemgo waren die gemeinsamen Veranstalter. Unter der Regie von Ulrich Holle, Dozent für Sprecherziehung an der Musikhochschule, rezitierten drei Studentinnen und ein Student seiner Klasse. Die Musik sorgte mit Schlaginstrumenten aller Art für weitere Dimensionen.
Zunächst: ein heftiger Trommelwirbel, der eine kleine Ewigkeit durch die hohen Gewölbe nachhallt. Dann schallt es von hinten:
schtzngrmm
schtzngrmm
t-t-t-t
t-t-t-t...:
Ernst Jandls bedrohliche Lautmalerei vom Schützengraben. Es folgen Schilderungen des Krieges, mal in der verzweiflungsmächtigen barocken Sprache des Andreas Gryphius, mal in der brennend leidenschaftlichen Prosa von Wolfgang Borchert. Sie lesen intensiv, mit hoher Disziplin und sorgfältigem Audruck: Julia Husmann, Patricia Joppich, Markus Schmidt und Charlotte Zömer. Am Schlagzeug Po-Tsen Yeh: Aus mächtigen, dröhnenden Schlägen entwickeln sich bizarre, zackige Rhythmen, die sich überschneiden, sich überstürzen. Am Ende dieser ersten Improvisation steht ein winziger Anklang, ein Hauch von einem zauberhaft leisen Frieden: So unendlich behutsam streichelt der Mann aus Taiwan die Metallplatten seines Marimbaphons.
Dann: Texte, die vom Frieden handeln. Sehnsuchtsvoll bei Ricarda Huch. In frommer Parodie bei Kurt Marti: „singet dem herrn / der feinde als brüder entlarvt“. Zuversichtlich in aller Resignation bei Reinhold Schneider: „Allein den Betern kann es noch gelingen...“ Und visionär wie der Prophet Jesaja, in dessen Friedensreich selbst die Grausamkeiten der Natur aufgehoben sind.
Po-Tsen Yeh greift dies auf: verträumt-spielerisch, schwebend entwickelt sich ein Motiv, das nach und nach in immer neue Höhen und Lagen fortschreitet, ein feines Gespinst aus Tönen. Nun kommen Erich Kästner, Walter Mehring, Erich Fried, Hans Magnus Enzensberger zu Wort, jene hellsichtigen Moralisten, die mit allen Waffen von Witz und Vernunft gegen die Dummheit, Trägheit und Gewalttätigkeit anschreiben. Frieds „Gründe“, scheinbar überzeugende, letztlich aber faule Ausreden sprechen die Vier in wirkungsvollem Wechsel, vom Schlagzeug begleitet. In Mehrings gespenstischer „Sage vom Großen Krebs“ gelingt den Sprechern ein eindrucksvoller Wechsel zwischen Solo und chorischem Refrain.
Das Werk „11/09“ des zeitgenössischen Komponisten Berthold Hummel spielt zierliche Bulgarin Yoana Varbanova. Es ist eine Kombination mit dem Gedicht „Schwarzer Dienstag“ von Reiner Taudien, der die Terrorangriffe vom 11. September 2001 verarbeitet.

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