Pfarrer Dieter Bökemeier (links) und Albert Lange von der Buchhandlung „Kafka & Co.“ begrüßten Antje Vollmer in der Marktkirche.

„Doppelleben“

Lesung mit Antje Vollmer

Detmold. „Die Geschichte hat mich gefunden“, antwortet Antje Vollmer auf die Frage, wie sie auf das Thema zu ihrem aktuellen Buch „Doppelleben“ gekommen sei. Am Freitag (11. November) stellte die Theologin und Grünen-Politikerin ihr Werk in der Erlöserkirche am Markt in Detmold vor. In der 2010 erschienenen Doppelbiografie beleuchtet sie das Schicksal Heinrich Graf von Lehndorffs, einer der Verschwörer um Stauffenberg, dessen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 scheiterte, und seiner Frau Gottliebe. Zur Lesung eingeladen hatten die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde Detmold-Ost und die Buchhandlung „Kafka & Co.“

Heinrich Graf von Lehndorff gehörte zu den engsten Mitwissern des Kreises um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Henning von Tresckow, so Vollmer. Dennoch sei sein Name heute nur noch wenigen Menschen vertraut. „Das Interesse an Hitler ist oft größer als das Interesse am Widerstand“, bedauerte die Autorin. Zudem sei sie beim Schreiben oft mit dem Vorurteil konfrontiert worden, dass der Adel im Gegensatz zum zivilen Widerstand nur gegen Hitler gehandelt habe, um seinen Großgrundbesitz zu erhalten. Wie Vollmer den Zuhörern berichtete, lagen die Güter von Heinrich von Lehndorff nur rund 14 Kilometer von der „Wolfsschanze“, eines der sogenannten Führerhauptquartiere, entfernt. In seinem Familienwohnsitz Schloss Steinort im heutigen Polen waren regelmäßig hohe Vertreter des Nazi-Regimes zu Gast, zum Beispiel Außenminister Joachim von Ribbentrop. Gleichzeitig gingen auch die Verschwörer des militärischen und zivilen Widerstands ein und aus. Dieses gefährliche Doppelleben ging über drei Jahre. So etwas könne sich kein Romanautor ausdenken, sagte Vollmer am Freitag. „Was da für eine Spannung war.“ Heinrich von Lehndorff wurde am 4. September 1944 gehängt, seine Frau kam ins Konzentrationslager und überlebte. In ihrem Buch setzt sich Antje Vollmer unter anderem mit der Frage auseinander, warum das Grafenpaar solch ein hohes persönliches Risiko einging. Sie nähert sich den beiden anhand von Briefen und Originaldokumenten. In der Kirche las sie unter anderem eine Beurteilung aus der Schulzeit Heinrich von Lehndorffs sowie Aufzeichnungen seiner Frau vor, die von den dramatischen Stunden rund um den 20. Juli erzählen: Lehndorffs Verhaftung und zweimalige Flucht, die Situation seiner hochschwangeren Frau, die Hinrichtung von Lehndorffs in Berlin-Plötzensee. Eine Begegnung mit der Tochter des Ehepaares, Vera Gräfin von Lehndorff – besser bekannt als Veruschka – habe den Anstoß für die intensive Beschäftigung mit dem Thema gegeben, erklärte die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Auch wenn die Pläne zum 20. Juli scheiterten und noch viele Menschen unter dem Nazi-Regime sterben mussten, sei das Attentat auf Hitler nicht umsonst gewesen. „Es war gut im Sinne der ganzen Geschichte“, ordnete Vollmer ein. Die Widerstandskämpfer hätten damit gezeigt, dass es noch Menschen gab, die gegen das Regime angehen wollten. Sie hätten Hitler geschwächt.

16.11.2011