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27.02.2003

Zwischen Fluch und Segen: Gentechnik und Ethik

Pressemitteilung: Zwischen Fluch und Segen: Gentechnik und Ethik. Pastoren und Kirchenälteste im Gespräch mit Dr. Fred Salomon

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Dr. Fred Salomon, Theologe und Chefarzt am Klinikum Lemgo, sprach in Bösingfeld über ethische Probleme der Gentechnik.

Der frühere ärztliche Direktor des Klinikums Lemgo sprach über Gentechnologie, Klonen, Stammzellenforschung, Präimplantationsdiagnostik (PID). Der Tod des ersten Klonschafes Dolly hatte dem Thema kurz zuvor überraschende Aktualität gegeben. Mehr als 80 Interessierte waren der Einladung von Superintendent Gerhard-Wilhelm Brand gefolgt, um mit Dr. Salomon über dieses Thema zu debattieren. Dabei ging es weniger um naturwissenschaftliche und medizinische Fragen. Für den studierten Theologen stand die ethische Diskussion im Mittelpunkt.
Salomons Urteil aus Sicht der Prinzipienethik war schnell gefällt: Gentechnologie ist als menschlicher Eingriff in Gottes Schöpfung abzulehnen. Doch er versteht sich selbst nicht als Prinzipienethiker: „Prinzipien lassen sich nicht immer bis zuletzt durchhalten. Eine solche Ethik stößt früher oder später an Grenzen.“ So sei Ethik auch stets zeit- und gesellschaftsgebunden. Während in der christlich-europäischen Anschauung das menschliche Leben mit der Befruchtung der Eizelle beginne, sehe man in der jüdischen Tradition in kleinsten Zellhaufen noch keinen werdenden Menschen. Und das führe beispielsweise zu ganz unterschiedlichen Möglichkeiten in der Stammzellenforschung in Deutschland und Israel. Ethisch stelle sich damit die Frage: Darf man an Stammzellen forschen, die im Ausland unter dort akzeptierten, bei uns aber verbotenen Bedingungen entstanden sind?
Der Arzt und Theologe plädierte dafür, eine nutzorientierte Ethik anzuwenden: Welchen Nutzen oder welchen Schaden kann Gentechnologie für wen hervorrufen? Unter dieser Leitfrage nahm sich Salomon des Themas an. Eindeutig sprach er sich allerdings auch unter den Vorzeichen einer nutzorientierten Ethik gegen das Klonen von Menschen aus. Doch Gentechnologie verlange nach einem differenzierten Urteil: Gewisse Vorteile der Gentechnik müsse man durchaus zur Kenntnis nehmen. Sie eröffne der Medizin neue Behandlungsmöglichkeiten. Manche Krankheit, manches Gebrechen werde durch gentechnische Erkenntnisse heilbar sein. „Ist es ethisch vertretbar, Menschen medizinische Hilfe vorzuenthalten, weil man Gentechnik prinzipiell ablehnt? Ist die gentechnische Herstellung von Insulin für Zuckerkranke nicht vielmehr ein Segen, weil traditionell hergestelltes Insulin durch mögliche Verunreinigungen immer wieder Patienten gefährdete?“ Salomon verwies außerdem auf die Kriminalistik. Viele Gewaltverbrecher seien nur deshalb zu fassen, weil sie dank moderner Forschung über ihren genetischen Fingerabdruck zu identifizieren sind.
Und doch: Gentechnik fordert Widerspruch heraus, zwingt aus ethischen Gründen zu skeptischer Distanz. „Niemand weiß mit Sicherheit, ob nicht doch schon der erste geklonte Mensch lebt.“ Und es sei nicht weit von der nutzbringenden Anwendung gentechnischer Kenntnisse in der Medizin zur unmenschlichen Selektion und zum „Designerbaby aus dem Baukasten“’ Die PID mache es ja möglich, genetische Defekte frühzeitig zu erkennen. Ebenso sei es dann auch denkbar, Embryos erwünschte Eigenschaften mit auf den Lebensweg zu geben. „Wer möchte nicht, dass sein Kind intelligent wie Einstein wird.“
Salomon und seine Zuhörer waren sich auch weitgehend einig, dass es nur ein kleiner Schritt sei von der frühzeitigen Verhinderung körperlicher oder geistiger Defekte zu einer menschenverachtenden Debatte um die Lebensberechtigung Behinderter. „Solche Debatten dürfen gar nicht erst geführt werden“, so Salomon.

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