Archiv 2005 - 2001

17.11.2002

Der Weise ist nicht immer duldsam

Pressemitteilung: Peter Schütze las in Lemgo Texte von Lessing bis zur Gegenwart

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Mitreißender Vortrag: Dr. Peter Schütze.

„Der Weise ist nicht immer duldsam“, stellte der Schauspieler, Regisseur und Literaturwissenschaftler gleich eingangs fest. Wenn ein Antifaschist wie Walter Mehring in seinem „Lied der Hakenkreuzer“ die dumpfe Denkweise der Nazi-Marschierer aufgreift, dann geschieht das mit unduldsamem Zorn. Peter Schütze spricht diese bedrohliche Parodie in sich steigerndem Marschtakt, beklemmend, böse. Auch Bertolt Brecht zeigte gegenüber dem Faschismus keineswegs duldsam, auch nicht gegenüber den verkappten großen und kleinen Nazis und ihren Helfershelfern, die nach dem Zusammenbruch alle plötzlich für „Freiheit und Democracy“ waren und die, grauenvoll-realisitische Vision, als „Anachronistischer Zug“ durch Deutschland ziehen. Schütze meistert die knorrige Sprache dieses Gedichts von 1947 mit Verve. Oder Erich Fried, dessen Text „Gründe“ eine wohlformulierte Sammlung fauler Ausreden ist: Ein Weiser, ein Menschenfreund, aber unduldsam gegen den Ungeist der Gewalt und beißend spöttisch gegen feigen Opportunismus.
Beginnend bei Lessing, hatte Peter Schütze ein Programm aus Texten zusammengestellt, deren roter Faden die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und seiner großen Schwester, der Fremdenfeindlichkeit war. Den klassischen Dialog der Ringparabel aus „Nathan der Weise“ füllte Schütze mit Leben durch unaufgeregten, fast bedächtigen Vortrag, der die Pointe der Geschichte um so wirkungsvoller hervortreten ließ: Wer vorurteilsfreie Liebe übt, ist vor Gott und den Menschen angenehm – insofern ist die Frage nach der „einzig wahren“ Religion falsch gestellt.
Augenzeugenberichte vom 9. November 1938, als in Deutschland die Synagogen brannten, bereiteten Paul Celans „Todesfuge“ vor, jenes grauenhafte große Gedicht, das sich eigentlich gar nicht sprechen lässt und doch immer wieder gesprochen werden muss. Vielleicht kann man als Rezitator an diesem Text nur scheitern. Auch Peter Schütze, trotz kunstvoller Steigerung, gelang hier nicht die überzeugende Lösung zwischen Kargheit und Pathos.
Eine Herausforderung auch Gedichte von Else Lasker-Schüler oder Nelly Sachs, etwa in dem berückend schönen „Wir Mütter“. Wenn diese Mütter, für die hier eine spricht, „in das Herz der Welt die Friedensmelodie“ wiegen, dann ist das schlicht und selbstbewusst zugleich – zart, subtil gesprochen, wenngleich nicht ohne Pathos. Peter Schütze ist ohne Zweifel ein Meister des Vortrags. Schade, dass sich nur eine Handvoll Zuhörer einfanden.

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