Archiv 2005 - 2001

05.10.2001

Keine Religion ist vor Missbrauch gefeit

Pressemitteilung: Keine Religion ist vor Missbrauch gefeit

Über 200 Besucher, davon rund die Hälfte muslimischen Glaubens, waren in die Friedenskirche der evangelisch-reformierten Gemeinde Detmold-Remmighausen gekommen. Die beiden Vertreter des Islam und die beiden evangelischen Theologen, die auf dem Podium saßen, waren sich einig: Keine Religion ist davor gefeit, für Gewalt missbraucht und pervertiert zu werden: "Die Geschichte lehrt uns, dass die Menschen nicht immer in der Lage sind, mit der Lehre richtig umzugehen", sagte Dr. Sami Elias. Wie er berichtete auch Dr. Yussuf El-Semsi, ebenfalls vom Islamischen Zentrum Bielefeld, von dem Erklärungs- und Rechtfertigungsdruck, dem sich die in Deutschland lebenden friedlichen Muslime nach dem 14. September ausgesetzt sähen. An eindeutigen Distanzierungen und Verurteilungen des Terrors habe es nicht gefehlt. "Wie sehr soll ich die Anschläge eigentlich noch verurteilen?", fragte El-Semsi. Damit bestätigte er, was Landespfarrer Tobias Treseler als Moderator einleitend gesagt hatte: Die tatsächliche Bedeutung des Islam herauszustellen sei ein drängendes Anliegen.
Doch wie steht es um die Aussagen des Korans zum Thema Krieg und Frieden? Höchstes Anliegen seiner Religion, so Elias, sei der Friede - mit sich selbst und mit allen Menschen. Schließlich bedeute das Wort "Islam" selbst Friede und Hingabe an Gott. Ziel, ergänzte El-Samsi, sei folglich eine geschwisterliche Gesellschaft und Friede in allen Bereichen. Gleichwohl: "Die Erlaubnis, sich zu verteidigen, ist denen gegeben, die zu Unrecht angegriffen werden", zitierte er sein heiliges Buch. Der verfolgten Gemeinde um Mohammed sei dies offenbart worden.
Die christliche Sichtweise erklärte Superintendent Gerhard-Wilhelm Brand zunächst von ihren Wurzeln her. Dem Alten Testament, oft als Buch der unbarmherzigen Rache missverstanden, liege ein Friedensbegriff zugrunde, der in Erzählungen und prophetischen Visionen immer wieder zum Ausdruck komme: "Der Friede ist zwar von Gott geschenkt, aber wir Menschen müssen ihn ergreifen und gestalten." Jesus habe diese Linie weitergeführt: Frieden schaffen hat etwas mit Einsatz und Fantasie zu tun, sagte der Gemeindepfarrer aus Bega.
Dass ohne Gerechtigkeit kein wirklicher Friede möglich ist, wurde auch in der Diskussion mit dem Publikum immer wieder deutlich. Pfarrer Brand stellte hier die Verbindung her zu der fassungslosen Frage nach Gott angesichts des Grauens: "Gott hat das Leid nicht geschickt, aber es hat mit Gott zu tun. Er kann durch dieses Leid zu uns sprechen, Fragen stellen: nach dem globalen wirtschaftlichen Krieg, der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht, nach Rüstungsexporten, nach ungerechten Strukturen."
Im lokalen Bereich, in der Nachbarschaft, geht es ebenfalls darum, Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen abzubauen. Dafür sprachen sich viele der Besucher aus. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg: sorgfältiger Gebrauch der Sprache. Pfarrer Martin Hankemeier, Islambeauftragter der Lippischen Landeskirche, forderte das Wort "Heiliger Krieg" zu vermeiden. Dr. Elias erläuterte den Grund: Das arabische "dschihad" bedeute: sich anstrengen, um etwas zu erreichen. Dieser Einsatz könne die eigene Person betreffen im Sinne von Selbstdisziplin, aber auch andere - die Deutung "um etwas kämpfen" sei möglich, eventuell auch militärisch, niemals aber in Verbindung mit "heilig". Der Begriff "Heiliger Krieg" sei eine Verleumdung des Islam, sagte Elias. Bitten an die Medien, ihn aus ihrem Vokabular zu streichen, blieben bislang leider ohne Erfolg.

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