Gott ist in allem gegenwärtig
„Das Ego zurückstellen“ - Kirchenlieddichter Gerhard Tersteegen hat auch heute noch etwas zu sagen
Burkardt zeichnet das Bild einer Kindheit Tersteegens in einem reformiert geprägten Umfeld, das ihm auch durch die Schule einen soliden theologischen Unterbau vermittelt. Die Bekanntschaft mit dem Pietisten Wilhelm Hoffmann überzeugt ihn, dass der Gläubige sich von der Welt abkehren müsse, bis sich Christus ihm offenbart. In einem mit seinem eigenen Blut verfassten Brief verschreibt er sich 1724 seinem Heiland Jesus Christus zu dessen „völligem, unwürdigen Eigentum“.
Seit 1720 ist Tersteegen schriftstellerisch tätig. Vergleichsweise spät nahm er seine Tätigkeit als Liederdichter auf. Die Musik lehnt er für Repräsentation und bloßen Kunstgenuss ab, nur zur Übermittlung der biblischen Botschaft erachtet er sie als hilfreich. Tersteegen verschreibt sich einem zurückgezogenen, ganz dem Bibelstudium gewidmeten Lebensstil. Das Gebet ist ihm wichtig, ebenso die Wiedergeburt und Heilung im Glauben sowie die Überzeugung, dass Gott in allem gegenwärtig sei. „Gott ist gegenwärtig“ lautet sodann auch sein wohl bekanntestes Kirchenlied, eines von acht Tersteegen-Werken im Evangelischen Gesangbuch (EG 165). Als um 1750 die Erweckungsbewegung aus den Niederlanden bis an den Niederrhein, wo Tersteegen lebte und wirkte, überschwappt, wird er schnell zu einem der Anführer, hält stundenlange Ansprachen am Sonntagnachmittag.
Aber wie passen die Weltabgewandtheit und zahlreiche weitere Ansichten, die heute als fundamentalistisch bezeichnet werden müssten, ins 21. Jahrhundert? „Vieles ist heute überholt und falsch“, sagt Johannes Burkardt. „Aber es lohnt sich doch, mit ihm nach dem Wesentlichen zu fragen und sich vom Ballast im Leben zu befreien.“ Tersteegen könne „in einer zunehmend egoistischeren Gesellschaft lehren, das Ego zurückzustellen.“
Friederike Webel (Sopran) und KMD Burkhard Geweke (Orgel) gestalteten den Abend musikalisch mit Liedern Tersteegens, zum Abschluss erklang sein Weihnachtschoral „Jauchzet ihr Himmel“.
28.11.2019