Archiv 2005 - 2001

14.03.2003

Hitler als religiöse Gestalt

Pressemitteilung: Evangelische Kirche im Jahr der Machtergreifung

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Dr. Hans-Jürgen Dohmeier (links) erläutert die Beziehung zwischen Protestantismus und NS-Bewegung im Jahr der Machtergreifung. Durch den Abend führte Ralf Leßmann von der Evangelischen Erwachsenenbildung (rechts).

Die Suche nach einer Antwort begann für Dohmeier bereits im deutschen Kaiserreich. Er beschrieb die protestantischen Eliten als demokratiefeindlich, nationalistisch und antisemitisch. Die „wahre“, angeblich von Gott gewollte Ordnung sei gekennzeichnet durch die Einheit von Krone und Katechismus, von Thron und Altar.
Diese Ordnung zerbrach 1918 mit der Abdankung des deutschen Kaisers und preußischen Königs, des obersten Bischofs der preußischen Landeskirche. Dohmeier: „Die Einheit von Thron und Altar war perdu. Der neue Staat, die Weimarer Republik, wurde zum Hassobjekt, zur religiös nicht-legitimierten weltlichen Gewalt.“ Die protestantischen Eliten sammelten sich deshalb, so Dohmeier, in der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP), der auch der damalige Generalsuperintendent der Lippischen Landeskirche, August Weßel, angehört hat.
Die Opposition gegen die Republik entzündete sich beispielsweise an der Schulpolitik. Der lippische Generalsuperintendent forderte, dass die lippische Volksschule evangelische Bekenntnisschule sein solle. Einen unliebsamen Oberschulrat, den man dem linken Spektrum zuordnete, drängte man aus dem Amt. Kein Wunder, dass Kirchenvertreter 1933 ihre Freude darüber zum Ausdruck brachten, dass nun „die Säuberung der lippischen Schulen von marxistischen Menschen“ möglich sei.
Der verlorenen „gottgefälligen deutschen Ordnung“ glaubten deutsche Protestanten 1933 wieder näher zu kommen. Und so durften in diesem Jahr Hakenkreuzfahnen in den lippischen Kirchen hängen. Die Gleichschaltung vollzog sich scheinbar sogar zum Vorteil der Kirche: Der Trend zum Austritt aus den Gemeinden verkehrte sich 1933 ins Gegenteil. Es gab nachträgliche Massentrauungen von SA-Leuten.
Hitler konnte nach Dohmeiers Einschätzung die politische Nähe zu protestantischen Eliten festigen, indem er eine Reihe von religiösen Erwartungen und Wünschen bediente. Er habe sich selbst als Werkzeug der Vorsehung und damit als religiöse Gestalt betrachtet. Er sei auch religiös überhöht worden, wie zum Beispiel in den Filmen von Leni Riefenstahl. Kinderbücher ebenso wie Broschüren für Erwachsene bedienten sich einer Sprache, eines Vokabulars, das man aus der Bibel oder aus Predigten kannte, nur dass Hitler zum quasi-religiösen Mittelpunkt dieser Texte geworden war. Dohmeier verlas sogar Ausschnitte aus einem Buch, in dem ernsthaft ein Vergleich zwischen der biblischen Maria und der Mutter Adolf Hitlers gezogen wurde.
Diese religiöse Überhöhung Hitlers habe maßgeblich dazu beigetragen, dass es lange Zeit keine wirkliche Auseinandersetzung der Deutschen mit der NS-Vergangenheit gegeben habe. Dass Richard von Weizsäcker seine berühmte Rede erst 40 Jahre nach Kriegsende hatte halten können, sei nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen.

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