Menschen nicht ins Elend abschieben

Christian Schwarz-Schilling plädiert für Integration

Pfarrer Dieter Bökemeier, Flüchtlingsbeauftragter der Lippischen Landeskirche, konnte Christian Schwarz-Schilling (CDU) in Detmold-Pivitsheide begrüßen.

Kreis Lippe/Detmold. Er selbst hat als Junge die Gefahren der Nazi-Zeit miterlebt. Seine Mutter, eine gebürtige Polin, hatte jüdische Wurzeln. Die Jahre nach 1945 empfand er wie einen Aufbruch in ein neues Leben: Christian Schwarz-Schilling (CDU), ehemaliger Bundespostminister (1982-1992). Seine Überzeugung: was in der Nazi-Zeit und im 2. Weltkrieg mit Menschen gemacht wurde, darf nicht wieder passieren.

Schwarz-Schilling sprach auf Einladung der Flüchtlingshilfe Lippe und der ev.-ref. Kirchengemeinde Pivitsheide zum Thema „Abgeschoben ins Elend?“ und ließ dabei kein gutes Haar an der derzeitigen deutschen Asylpolitik, die statt auf Integration auf Abwehr ausgerichtet sei. „Wenn man Integration nicht will, dann soll man es ehrlich sagen.“
Als EU-Sonderbeauftragter für Bosnien und Herzegowina von 2007 bis 2009 hat Schwarz-Schilling umfassende Einblicke in die Situation der Nachfolgestaaten Jugoslawiens erhalten. Sein besonderes Interesse gilt der Situation im Kosovo und der immer noch stattfindenden Abschiebungen von Roma dorthin.
„Menschen, die teilweise schon seit 25 Jahren in Deutschland leben, werden in den Kosovo abgeschoben“, so Schwarz-Schilling. „Ich habe mir vor Ort ein Bild gemacht, und zwar jenseits der Vorzeigedörfer, die aufgrund des Rücknahme-Abkommens mit Deutschland von der kosovarischen Regierung für Roma errichtet wurden.“ Dahinter aber sehe man die Wirklichkeit, in der 70 % der Roma-Familien ohne jede vernünftige Infrastruktur und ohne Arbeit leben müssten. Kinder, die in Deutschland selbstverständlich zur Schule gingen, könnten dies im Kosovo nicht mehr, seien Hänseleien ausgesetzt, weil sie die Sprache nicht sprechen.
Die Länder, mit denen Deutschland ein Rücknahme-Abkommen geschlossen hat, könnten die Voraussetzungen der Aufnahme so schnell gar nicht erfüllen. „Der Fortschritt, den Roma-Familien in Deutschland erlebt haben, ist mit einem Schlag zunichte gemacht“. Er frage sich, warum man Menschen, die gerne in Deutschland leben und arbeiten wollten, nicht die notwendigen Hilfen geben würde, die sie erfahrungsgemäß dankbar annähmen. Stattdessen würden hilflose Menschen in Ausländerämtern in schwierige Situationen gebracht. Statt Integration gebe es Abwehr. Arbeitsbewilligungen würden entzogen oder verweigert. „Dabei ist ein Arbeitsplatz der beste Weg zur Integration“.
Insbesondere der Fall der ca. 3.000 Roma, die durch die neue Visafreiheit für Serbien und Mazedonien nach Deutschland gekommen seien und hier einen Asylantrag gestellt hätten, sei ein Unding. „Es bleibt ihnen ja keine andere Möglichkeit als einen Asylantrag zu stellen, da wir Deutschen es bis heute nicht geschafft haben, ihnen eine andere legale Zuwanderungsmöglichkeit zu geben“. Und dass man jetzt damit drohe, Serbien und Mazedonien die Visafreiheit wieder zu entziehen, wegen 3.000 Roma, denen angeblicher Asylmissbrauch vorgeworfen werde, das empfinde er als einen unglaublichen Vorgang.
Schwarz-Schilling ist überzeugt: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Die Menschen, die gerne bei uns leben und arbeiten wollen, sollten die Möglichkeit dazu bekommen.“
Der 82-jährige sprach den Kirchen für ihre mahnenden Worte und den Menschen, die Kirchenasyle möglich machten sowie den Mitgliedern der Flüchtlingshilfe Lippe seine Anerkennung aus: „Wenn man nur einem Menschen aus seiner Misere herausgeholfen hat, ist die dafür aufgewendete Mühe schon tausendmal aufgewogen.“
 

29.10.2012